Diese Informationen auf dieser Seite stammen aus der Chronik von Eubach, welche zur 725-Jahr-Feier im Jahre 2006 erschienen ist. Die Videosequenz stammt aus der DVD „Die sieben Bücher der Eubachia“, welche in den Jahren 2004 bis 2006 von unserem damaligen Pfarrer Jörn Schlede mit Hilfe von Mitbürgern aus Eubach und der Gemeinde und den Konfirmanden erstellt wurde. Die einzelnen Informationen wurden aus mündlichen Überlieferungen und aus Dokumenten zusammengetragen. Die Aufnahmen enthalten zum Teil Aussagen von Zeitzeugen an Originalschauplätzen. Die Szenen wurden in Eubach und in anderen Ortsteilen der Gemeinde Morschen gedreht. Die gesamte DVD finden Sie hier auf der Internetseite.
Videosequenz aus der DVD „Die sieben Bücher der Eubachia“.
1. April 1945, Ostersonntag
Bericht von Dina Piskorsch, geb. Riemenschneider
Der Amerikaner steht kurz vor Morschen. Die Artillerie der Wehrmacht schießt von Spangenberg aus vom Bromsberg in das Fuldatal um den Vormarsch zu stoppen. In Morschen bei Raiffeisen steht ein Panzer um den Vorstoß an der Fulda aufzuhalten.
Tage zuvor wurde das STALAG IX A Ziegenhain vor den anrückenden alliierten Truppen geräumt. Bis 1945 wurden im STALAG IX A Kriegsgefangene unterschiedlicher Nationen interniert: Zunächst Polen und Franzosen, darunter der spätere französische Staatspräsident François Mitterand. Hinzu kamen Niederländer, Belgier, Briten, Serben sowie Italiener und Amerikaner. Nach der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers am 30. März 1945 diente das STALAG IX A der US-Army zunächst als Civil Internment Camp 95 (CIC 95) zur Unterbringung von Mitgliedern der Waffen-SS, der NSDAP, SA und Wehrmachtssoldaten. Diese Gefangenen wurden in einem langen Treck, bewacht vom Volkssturm, durch Eubach getrieben. Allein hier in Eubach setzten sich ca. 500 Gefangene ab. In fast jedem Haus und jeder Scheune versteckte sich ein Gefangener. Einer dieser Gefangenen, ein Franzose in einer englischen Uniform namens Mouton Raymond, kam zu uns in den Gewölbekeller, der von Wehrmachtsoffizieren als „Bombenfest“ eingestuft wurde. Vielleicht war gerade das der Grund, weshalb sich bei uns in der Küche das „Lagezentrum“ befand. Raymond Mouton war schon 4 Jahre in deutscher Gefangenschaft und sprach recht gut deutsch. So konnten wir uns gut mit ihm verständigen. Er erzählte uns, dass er die Bombennächte von Dresden und Berlin überlebt hatte und wollte nun nicht kurz vor Kriegsende sterben. Da er seit Tagen nichts mehr gegessen hatte, holte mein Vater etwas warme Milch und wegen der wunden Füße ein paar Lätschen für ihn.
Von unserem Küchentisch aus versuchten die Deutschen Offiziere den Krieg noch zu gewinnen. Dank Artilleriefeuer aus Spangenberg sah das alles in ihren Augen gar nicht so schlimm aus. Kurios war nur, dass in der selben Küche, wo die Offiziere versuchten den Krieg zu gewinnen, auf dem Holzkasten ein geflohener französischer Gefangener aus Ziegenhain saß und am anderen Ende unser Nachbar, ein desertierter deutscher Wehrmachtssoldat. In diese Ruhe platze ein Kradmelder mit der Nachricht, dass der Artillerie auf dem Bromsberg bald die Munition ausgehen werde. Die Offiziere stiegen in ihren Panzer, der bei uns vor der Linde stand, und fuhren nach Morschen, da Morschen unbedingt zu halten sei. Kurze Zeit später kam der Kradmelder aus Morschen zurück mit der Meldung, dass der Panzer mit den beiden Offizieren in Brand geschossen wurde. Von der Strasse nach Konnefeld war es einem amerikanischen Panzer gelungen, mit einem gezielten Schuss den deutschen Panzer zu zerstören. Nun sahen sich die die restlichen Wehrmachtssoldaten gezwungen, ihre Stellung in Eubach aufzugeben. Raymond Mouton sagte meiner Mutter, dass sie eine weiße Fahne zur Kapitulation des Hauses vorbereiten sollte. Unbemerkt von den deutschen Offizieren machte meine Mutter eine weiße Fahne, die in ein Fenster sollte, wenn die Amerikanischen Truppen durch das Dorf zogen. Natürlich durften die Offiziere diese Fahne nicht zu Gesicht bekommen, weil das als Fahnenflucht abgeurteilt wurde. Viele Eubacher Einwohner versteckten sich im Wald vor den anrückenden amerikanischen Truppen. Wir blieben in Haus, da der Keller sicher sein sollte. Die Einwohner, welche am Ziegenberg lagen, waren aber nicht sicher vor den alliierten Truppen, da ein Sturmgeschütz vor dem Buchholz versuchte, die Amerikaner in Morschen zu stoppen. Die Amerikaner antworteten auf das Feuer mit einem Angriff mit Phosphor und schossen den Ziegenberg in Brand. Mein Vater holte meine Schwester Martha, die in Morschen wohnte, schleunigst vom Ziegenberg nach Hause. Vor dem Haus versuchten die verbliebenen Wehrmachtssoldaten immer noch das Sturmgeschütz zu starten, was ihnen aber nicht auf Anhieb gelang. Die Amerikaner waren inzwischen kurz vor Eubach angekommen. Das Dröhnen der Motoren der 240 Panzer war deutlich zu vernehmen. Vor dem Ort stoppten sie ihren Vormarsch und warteten auf den Bürgermeister, der das Dorf den Amerikanern übergeben sollte. Da die meisten Einwohner irgendwo im Feld und im Wald lagen, schnappte der Franzose unsere Kapitulationsfahne und ging den Amerikanern entgegen. Die Amerikaner akzeptierten den Franzosen anfangs nicht. Nachdem er ihnen aber erklärt hatte, dass fast niemand mehr im Ort sei und 500 Gefangene auf ihre Befreiung warteten, übergab nun ein französischer Kriegsgefangener in einer englischen Uniform das deutsche Eubach an die Amerikaner. Alles schien perfekt, nur leider hatten wir keine weiße Fahne mehr, die wir in das Fenster hängen konnten. Schnell rannt meine Mutter in das Schlafzimmer, riss das weiße Bettlaken von der Matratze, band es an einen „Wurschteknüppel“ und hing ihn aus dem Fenster. Die deutschen Wehrmachtssoldaten verschwanden in dem Moment mit ihrem Sturmgeschütz im Wald, als die Amerikaner Eubach einnahmen. Ein Gefecht innerhalb von Eubach blieb uns daher erspart. Als die Panzer durch Eubach fuhren, sprangen die Gefangenen vor Freude über ihre Befreiung auf die amerikanischen Panzer. Die amerikanischen Truppen warfen für die befreiten Gefangenen Schokolade und Bonbons von den Panzern. Raymond Mouton sammelte so viel von den Süßigkeiten ein, bis die großen Taschen der englischen Uniform voll waren. Diese Süßigkeiten gab er Elisabeth „Lieschen“ Wagner und mir im Keller, da wir uns immer noch nicht raus trauten.
Raymond Mouton wurde später von den Amerikanern in die Militärpolizei einberufen und in Altmorschen stationiert. Er wohnte noch weitere zwei Wochen bei uns in Eubach. Aus Dankbarkeit, dass wir ihn vor den deutschen Soldaten versteckten und durch seine Position in der Militärpolizei, ließ er von einem Güterzug, der in Morschen im Bahnhof stand, zwei Sack Mehl zu uns bringen. Des weiteren hatte Raymond Mouton zugriff auf Butter und Käse in der Molkerei, wovon er uns auch etwas brachte. Oft hatte Mouton schon früh morgens die Küche gewischt, bevor wir wach wurden. Eines Tages ließ er es sich nicht abhalten, mit meinem Vater auf dem Rottland Mist zu breiten. Die Arbeit war für ihn völlig ungewohnt und daher auch besonders anstrengend.
Eines Tages kamen Franzosen zu uns in die Küche, welche im Stall und im Keller des Hauses Lutzge wohnten. Sie wollten etwas zu essen haben. Da keiner von uns Französisch sprach, nahmen sie einfach den fertigen Bohnensalat und gingen. Meine Mutter rief Raymond Mouton, der postwendend hinter seinen Landsmännern herging und mit den Worten „Ihr blamiert ja ganz Frankreich! Wenn ihr was zu essen haben wollt, müsst ihr auch arbeiten.“ Den Bohnensalat wieder abnahm und zurückbrachte. Durch Raymond Mouton kamen wir auch einmal in den Genuss einen Reispudding probieren zu dürfen, den die Engländer aus dem Hause Deist gekocht hatten.
Christine „Dina“ Piskorsch
01. April 2006, 61 Jahre nach dem der Ami kam…